Vietnam and the Presidency

Organisatoren
National Archives and Records Administration und sämtliche Presidential Libraries
Ort
Boston
Land
United States
Vom - Bis
10.03.2006 - 11.03.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Rolf Keck, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Giessen

Am 10. und 11. März 2006 fand in der John F. Kennedy Presidential Library (Boston, Massachusetts)1 die Konferenz „Vietnam and the Presidency“ statt.2 Die Veranstaltung war im Vorfeld aus zweierlei Gründen als „historische Konferenz“ angekündigt worden: zum einen, weil einige der profiliertesten Vietnamforscher Amerikas, prominente Zeitzeugen und Politiker sowie einige der bekanntesten Reporter zum Krieg in Indochina referierten; zum anderen, weil es die erste gemeinsame Veranstaltung der National Archives3 und sämtlicher Presidential Libraries war. Die Absicht der Veranstalter, das amerikanische Engagement in Vietnam von 1945 bis 1975 in möglichst breiter Perspektive zu diskutieren, Lehren aus diesem „amerikanischen Trauma“ zu ziehen und auf den Irakkrieg anzuwenden, konnte nur teilweise gelingen. So groß die Parallelen zwischen beiden Kriegen auch sind, so unterschiedlich sind die Konflikte in vielerlei Hinsicht.

„How We Got In: The United States, Asia, and Vietnam“

Diese erste Sektion befasste sich mit der Vorgeschichte des Kriegs. Doch ehe Marilyn B. Young (University of New York) mit ihrem Vortrag zur Indochinapolitik Roosevelts und Trumans begann, griff sie die amtierende Administration scharf an. U.S. Sicherheitsbehörden hatten insgeheim eine Reklassifizierung bereits freigegebener Dokumente des U.S. Nationalarchivs begonnen, obwohl viele dieser Quellen bereits ediert worden sind. Dieser Prozess wurde nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 beschleunigt. Die New York Times hatte dies Ende Februar 2006 aufgedeckt. Young sprach von einer „ernsthaften Bedrohung“ für die historische Forschung, da Wissenschaftlern die Einsicht in deklassifizierte Akten verwährt werde. Doch Anfang März gab Allen Weinstein (Archivist of the United States und Moderator dieser Sektion) ein Moratorium der Reklassifizierung bekannt. „An enormous victory“, wie Young betonte. Anschließend referierte sie über die Kollaboration zwischen dem U.S. Militärgeheimdienst (OSS) und Hồ Chí Minh am Ende des Zweiten Weltkriegs und Trumans Allianz mit Frankreich gegen die Vietminh.

George C. Herring (University of Kentucky) sprach zur Indochinapolitik der Eisenhower-Administration. Er konzentrierte sich auf die Zeit nach dem Fall von Diên Biên Phu. Im Mittelpunkt stand der Entschluss des Weißen Hauses zwar nicht militärisch, wohl aber politisch in Vietnam zu intervenieren. Eisenhower habe sich 1954 bewusst entschieden, ein antikommunistisches Südvietnam unter Ngô Ðình Diệm zu unterstützen, so Herring, was in der Betrachtung des Konflikts oft außer Acht gelassen werde. Es war der Beginn einer antikommunistischen Partnerschaft zwischen Saigon und Washington für die nächsten 20 Jahre.

Ehe Fragen der Teilnehmer von den Wissenschaftlern beantwortet wurden, referierte Robert D. Schulzinger (University of Colorado) zur Vietnampolitik Kennedys. Er stieß auch gleich zur Kernfrage vor, die seit Jahrzehnten Anlass zu Spekulationen bietet: Wäre der Konflikt in Vietnam eskaliert, wenn Kennedy nicht ermordet worden wäre? Schulzingers Antwort fiel zur Erheiterung der Zuschauer kurz aus: „No one knows“. Häufig werde argumentiert, Kennedy sei vom Erfolg eines antikommunistischen Bollwerks in Südvietnam nicht überzeugt gewesen. Er habe einen Ausweg aus dieser Misere gesucht und den Abzug der U.S. Militärberater für die Zeit nach der Wahl 1964 geplant. Auf der anderen Seite stehe die Behauptung, Johnson sei vor allem auf Kontinuität bedacht gewesen – seine Politik habe in vollkommenem Einklang mit den Ideen und Absichten Kennedys gestanden. Fakt sei jedoch, dass Kennedy den Ratschlägen verschiedener Militärs und Berater zur Eskalation widerstanden habe, Johnson nicht.

„Vietnam and Presidential Tapes“

In der zweiten Sektion kamen ebenfalls Historiker zu Wort und berichteten über ihre Forschung zu den „Presidential Tapes“. David Kaiser (Naval War College), Timothy Naftali (University of Virginia) und Jeffrey Kimball (Uni. of Miami) legten anhand beeindruckender O-Ton-Sequenzen von Kennedy, Johnson und Nixon den außerordentlichen Quellenwert der Tonbänder dar.4 Alle drei Referenten betonten jedoch, dass solche Aufnahmen nie als alleinige Quellenbasis der Forschung dienen dürften, sondern immer in Bezug zu den schriftlichen Quellen gesetzt werden müssten. Hierzu gab Naftali in seiner Analyse der „Johnson-Tapes“ zu bedenken, Präsidenten neigten wie jedermann dazu, sich am Telefon oder im persönlichen Gespräch eher ungezwungen zu äußern. Schlussredner des ersten Tages war der Pulitzer-Preisträger David Halberstam.

„Inside the White House“

Der zweite Konferenztag wurde von NBC-Redakteur und Anchorman Brian Williams moderiert. Zunächst wurde dessen Interview mit Altpräsident Jimmy Carter per Video eingespielt. Das Podium der dritten Sektion war mit prominenten Entscheidungsträgern und Zeitzeugen besetzt: Theodore C. Sorensen, Jack Valenti, Alexander M. Haig und Henry A. Kissinger. Moderator Williams griff eine Frage aus dem Publikum auf, richtete sie an den ehemaligen Außenminister und betonte, sie sei eigentlich an alle Referenten gestellt, aber er sei nun einmal an der Reihe: „Is there anything you want to apologize for?“ Kissinger tat dies sichtlich überrascht mit der Bemerkung ab, dies sei keine der Veranstaltung angemessene Frage. Ernsthafte Leute hätten ernsthafte Entscheidungen getroffen. Gleichwohl räumte er Fehler ein. Man habe nicht verstanden, dass die Nordvietnamesen nach Jahrzehnten des bewaffneten Unabhängigkeitskampfes jede Form der Verhandlung von vornherein als Niederlage aufgefasst hätten.

Kissinger griff darüber hinaus Historiker und Journalisten an. Wiederholt würden aus Bergen von Dokumenten Zitate von ihm aus dem Zusammenhang gerissen und als Beweise für die eine oder andere Behauptung präsentiert. Er reagierte damit auf eine Publikumsfrage zu seinem Memorandum an Präsident Ford von 1975. Kissinger hatte damals geschrieben, es gäbe kaum Lektionen, welche die Vereinigten Staaten aus dem Vietnamkrieg ziehen könnten.

General Haig, Berater von Präsident Nixon und Außenminister unter Reagan, bezog ebenfalls Position gegen die Historiker der ersten beiden Sektionen. Sie hätten davon gesprochen, dass es sich in Wahrheit um einen Bürgerkrieg in Vietnam gehandelt habe, den das Weiße Haus erst in den Kontext des Ost-West-Konflikts projizierte. Keiner der amerikanischen Präsidenten von Eisenhower bis Nixon sei in der Lage gewesen, so Haig, den Vietnamkonflikt außerhalb des Systemwettstreits mit der Sowjetunion zu sehen. Deswegen sei die Feststellung, es habe sich um einen nationalistischen Konflikt gehandelt, zwar wahr, aber irrelevant.

„The Media and the Role of Public Opinion“

In der vierten Sektion lieferten ehemalige Kriegsberichterstatter einen direkten Vergleich der uneingeschränkten Pressefreiheit im Vietnamkrieg und den „embedded journalists“ im Irakkrieg. Journalist Dan Rather hatte beispielsweise von 1966 bis 1967 für NBC aus Vietnam berichtet und war 40 Jahre später für diesen Sender im Irak. Ihm war es daher möglich, die journalistische Arbeit während beider Konflikte aufgrund seiner Erfahrungen gegenüberzustellen. Er resümierte, dass die Kriegsberichterstattung in den 1960er-Jahren breiter und unabhängiger war als heutzutage.

Dass in der Bewertung des Vietnamkriegs noch immer alte Gräben offen liegen, verdeutlichte die Diskussion um eine Aussage von Haig. Dieser hatte in der dritten Sektion vehement behauptet, der Vietnamkrieg hätte gewonnen werden können, hätten die USA nur ihre Streitkräfte rigoros eingesetzt. Untermauert hat er dies mit seiner Einschätzung, Nordvietnam sei spätestens durch das Weihnachtsbombardement von 1972 „in die Knie gezwungen worden“. Dieser Analyse widersprach die Journalistin Frances Fitzgerald heftig. Der Einsatz von Bodentruppen oder gar Nuklearwaffen gegen Nordvietnam hätte die USA international isoliert, zur direkten Konfrontation mit China und die Welt an den Rand des Dritten Weltkriegs führen können. Im Gegensatz dazu stellte Fitzgerald fest, dass das südvietnamesische Regime nie eine wirkliche Alternative zum nordvietnamesischen Kommunismus war und deswegen festgestellt werden müsse, dass die amerikanischen Truppen somit irrelevant waren. Kategorisch wiesen alle Referenten dieser Sektion den Vorwurf zurück, die Medien hätten die schwindende Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit während des Vietnamkriegs zu verantworten.

Außerplanmäßig wurde John Burns ans Rednerpult gebeten. Er ist Korrespondent der New York Times in Bagdad und war gerade aus dem Irak in die USA zurückgekehrt. Er gab seine finsteren Eindrücke, die er vor Ort gesammelt hatte, wieder. Burns warnte, der Krieg im Irak habe mit dem Anschlag auf die Moschee von Samarra einen kritischen Moment erreicht. Das Land sei tief gespalten. Seiner Meinung nach stünden die Chancen für Amerika sehr schlecht, eine zufrieden stellende Lösung im Irak noch erreichen zu können.

„Lessons Learned“

Das letzte Podium der Konferenz war mit zeitgenössischer Prominenz besetzt. Sämtliche Sprecher hatten Dienst in Vietnam getan. General Wesley Clark, früherer Oberkommandierender der NATO, äußerte sich kritisch zum Vietnam- und zum Irakkrieg. Seiner Meinung nach wiederholten die USA den Fehler, im Vorfeld keine breite Allianz geschmiedet zu haben. Dieser Ansicht schloss sich Chuck Hagel (Senator von Nebraska) an. Immer wieder wurde vom Podium eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Exekutive, Legislative und Bürgerbewegungen gefordert.

Übereinstimmend sahen die Referenten der letzten Sektion die Lehren des Vietnamkriegs darin, dass die USA keinen Krieg ohne Kriegerklärung führen sollten und ein militärisches Engagement immer die breite Zustimmung der amerikanischen Öffentlichkeit sowie eine breite Koalition mit anderen Staaten erfordere. Die Tatsache, dass diese Fehler im Vorfeld des Irakkriegs wiederholt wurden – und dies ist die frappierendste Parallele zwischen Vietnam- und Irakkrieg – zeigt, wie wenig diese Erkenntnisse bislang Anwendung in der Außenpolitik der Bush-Administration fanden.

In allen Sektionen war zu beobachten, wie sich starke Kritik am Weißen Haus – sowohl der Vietnam-Epoche als auch der Bush-Administration – mit einem nahezu bedingungslosen Patriotismus paarte. Dies war in der Smith-Hall der Kennedy Library förmlich zu spüren: Die Konferenz begann mit einer Schweigeminute für die gefallen GIs; Veteranen im Auditorium wurden gebeten, sich zu erheben und mit Standing Ovations geehrt; Dan Rather war den Tränen nahe, als er vom Einsatz amerikanischer „Platoons“ im vietnamesischen Dschungel berichtete; schließlich bekundete jeder der Referenten ausdrücklich seine völlige Unterstützung für die U.S. Army insbesondere der Soldaten, die gerade im Irak stationiert sind. Auch John Burns, nachdem er die Militärverbrechen von Abu Ghureib kurz zur Sprache gebracht hatte, hielt anschließend gleich eine Laudatio auf die amerikanischen Streitkräfte. Bob Herbert von der New York Times brachte es auf den Punkt. Auf Williams’ Frage, wieso gerade er die Truppen im Irak unterstütze, obwohl er im Vorfeld arge Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Kriegs geäußert habe, gab der Journalist eine klare Antwort: Sind die Soldaten erst einmal im Einsatz, spielen Zweifel keine Rolle mehr, weswegen er die GIs vorbehaltlos unterstützte. Angemerkt sei schließlich, dass Herbert, abgesehen von zwei Reportern, der einzige afroamerikanische Teilnehmer an dieser Konferenz war. Überdies war kein einziger „Vietnamese-American“ im Auditorium zu sehen, geschweige denn am Podium.

Anmerkungen:
1http://www.jfklibrary.org/
2 Programm siehe unter http://www.jfklibrary.org/JFK+Library+and+Museum/News+and+Press/Vietnam+and+the+Presidency.htm
3http://www.archives.gov/
4http://www.whitehousetapes.org/


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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch
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